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Südportal sieht man den Sohn neben der Mutter sitzend und dieselbe krönend. Engel und Heilige sind als Beiwerk gegeben. Das Nordportal ist bekannt durch eine interessante Verkündigung Mariä. Die Legende, daß hier eine Pikanterie erst im 19. Jahrhundert weggemeißelt worden sei, ist die Erfindung eines müßigen Kopfes. Die Darstellung ist im Gegenteil wohl erhalten. Das Hauptportal gegen Westen stellt das jüngste Gericht, die Scheidung der Seligen und Verdammten, dar. Gelegentlich der ersten Anwesenheit Luthers in Würzburg soll Tilman Riemenschneider den Reformator besucht haben. Es sei dies die Veranlassung gewesen, daß Riemenschneider bei Ausführung seiner damals in Arbeit befindlichen Apostelfiguren für das Äußere der Marienkapelle sich Luther als Modell für den Kopf des hl. Andreas, der nunmehr am Portal, links vom Standpunkt des Beschauers, sich befindet, gewählt habe. Dazu ist zu bemerken, daß es leicht erklärlich ist, daß Riemenschneider sich für Luther interessierte. Erstens war Riemenschneider selbst ein Norddeutscher von Geburt, auch hatten die Thesen doch schon von sich reden gemacht, und es war damals nichts seltenes, daß gerade die bedeutendsten Persönlichkeiten gerne in Klöstern verkehrten. Warum sollte nicht ein genialer, so lebhafter Mann wie Riemenschneider, der noch dazu in der Nähe des Augustinerklosters wohnte, Luther aufgesucht haben? Nun hat ja der Riemenschneidersche hl. Andreas einen echten typischen Lutherkopf, aber so voll und dickwangig, als diese Figur ihn zeigt, war damals Luther, wie noch die Bilder desselben aus den Jahren 1521 und 1522 nach Lukas Kranach zeigen, nicht. Zudem sollen nachweislich diese wie die anderen Apostelfiguren an der Marienkapelle schon im Jahre 1507 an die Kirchenverwaltung abgeliefert worden sein. Auch das Innere der Kirche, das aus einer dreischiffigen Halle mit acht freien Pfeilern besteht, zeigt manches Kunstwerk. So einige Denkmäler, Altäre, die Kanzel, die Kommunikantenbank usw.

Die Turmspitze der Kapelle wurde am 1. Juni 1711 durch einen Blitzschlag eingeäschert. An ihre Stelle kam im Jahre 1713 eine Bedachung in italienischem Stil. Auf der Haube wurde ein nach einem Werke des Bildhauers

I. v. d. Auvera von dem Goldschmied Martin Nötzel gefertigtes Marienbild angebracht. Zu demselben wurden 5 Ztr. Kupfer, 2 Zentner Eisen und 400 Dukaten für die Vergoldung verwendet. Es mißt nebst der Kugel 18 1/2 Fuß und kostete 3667 Gulden.

Der Turm paßte so schlecht zu der alten Kirche und war auch so schlecht gebaut, daß die Kapellenpflege beschloß, statt seiner einen neuen zum Kapellenstil passenden Turm zu errichten. Im Jahre 1856 wurde mit dem neuen Turmbau begonnen und am 2. Juli 1857 wurde das Marienbild unter großen Feierlichkeiten auf die Spitze gesetzt. Die Höhe des Turmes vom Platz bis zur Spitze beträgt 72,96 Meter.

In der Marienkapelle, welche der Stadtrat mit Stolz als seine Kapelle bezeichnete, fanden die Mitglieder des Rats ihre letzte Ruhestätte. Seit dem Jahre 1412 bestand in der Kapelle die von 19 Rittern und 6 Edelknechten gestiftete Bruderschaft der Fürspänger. Diese Bruderschaft hatte ihren Namen von einer um den Hals getragenen Zierat (monile), die den Brüdern als Abzeichen diente. Viele Mit

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